Der Name Ostmarkstraße ist eine Belastung für die Stadt

Seit über dreißig Jahren wird in Stade über den Namen der 1938 benannten Ostmarkstraße kontrovers diskutiert, ohne dass die Politik zu einem abschließenden Ergebnis gekommen ist. In diesem Jahr steht der Straßenname durch eine Anfrage von Dr. Peter Meves wieder auf der politischen Tagesordnung. Anlass genug, ihn einmal genauer zu betrachten und nach sprachlichen Bedeutungen und historischen Konnotationen des Begriffs „Ostmark“ zu fragen, die in der Diskussion manchmal unzutreffend dargestellt werden. Ein Diskussionsbeitrag von Robert Gahde (Vorstand Bündnis90/Die Grünen Ortsverband Stade)

08.11.19 –

Ein Diskussionsbeitrag von Robert Gahde

Seit über dreißig Jahren wird in Stade über den Namen der 1938 benannten Ostmarkstraße kontrovers diskutiert, ohne dass die Politik zu einem abschließenden Ergebnis gekommen ist. In diesem Jahr steht der Straßenname durch eine Anfrage von Dr. Peter Meves wieder auf der politischen Tagesordnung. Anlass genug, ihn einmal genauer zu betrachten und nach sprachlichen Bedeutungen und historischen Konnotationen des Begriffs „Ostmark“ zu fragen, die in der Diskussion manchmal unzutreffend dargestellt werden.

„Ostmark“ – eine Begriffsgeschichte

Das mittelalterlich anmutende Wort „Ostmark“ ist erstaunlich jung. Es wurde erst um 1800 von einer nationalromantischen Geschichtsschreibung neu geschaffen als Übersetzung des lateinischen Urkundenbegriffs der „marcha orientalis“ (d.h. östliche Mark). So hieß die zur Zeit Karls des Großen geschaffene östliche Präfektur des Herzogtums Bayern, die im 9. Jahrhundert bestand. Der gelegentlich zu lesende Verweis auf Karl den Großen zur Rechtfertigung des Straßennamens ist aber absurd, denn der Begriff der Ostmark hat im 19. und 20. Jahrhundert ein modernes Eigenleben entwickelt.

Im Kaiserreich wurde „Ostmark“ zum politischen Schlagwort im Sinne einer völkisch-nationalistischen Geisteshaltung. Vermeintlich in einer mittelalterlichen Tradition stehend, wurde er auf die Provinzen und Länder an der modernen deutschen Ostgrenze angewendet – von Ostpreußen über Posen und Schlesien bis hin nach Bayern. Ihnen wurde die Funktion als „Bollwerk“ zur Abwehr der slawischen Nachbarvölker zugeschrieben, weswegen dort das „Deutschtum“ gestärkt werden sollte, wie es der 1894 gegründete „Deutsche Ostmarkenverein“ vertrat. „Ostmark“ ist keineswegs eine geographische Bezeichnung, sondern ein moderner konservativer politischer Begriff für die östlichen Grenzlande.

In dieser Tradition wurde der Begriff „Ostmark“ 1938 von den Nazis als neue Bezeichnung für das bisherige Österreich eingeführt, das im März des Jahres völkerrechtswidrig in das Deutsche Reich eingegliedert wurde. Wenn man jemandem die Identität nehmen will, dann nimmt man ihm den Namen. Es wurde somit bewusst die österreichische Eigenständigkeit verneint und in scheinbar mittelalterlicher Tradition die Zugehörigkeit zum Reich betont. Im Deutschen Reich wurden im selben Jahr in vielen Orten „Ostmarkstraßen“ benannt – ohne Zweifel gesteuert von der zentralen Parteipropaganda mit dem Ziel, die Integration Österreichs in das Reich zu dokumentieren und in die Köpfe zu transportieren. Weil der Begriff noch zu sehr an die frühere Eigenstaatlichkeit Österreichs erinnerte, wurde im offiziellen Sprachgebrauch ab 1942 nur noch von den „Alpen- und Donau-Reichsgauen“ gesprochen. Mit Sprache macht man Politik, das wussten die Nazis.

Was bedeutet das?

  1. Der Straßenname tradiert ungebrochen bis heute nationalsozialistische Propagandasprache und verharmlost sie.
  2. Der Straßenname hat eine nationalistische, antislawische Tendenz, die gegen die Polen und Tschechen gerichtet ist. Er betont in aggressiver Haltung die Abgrenzung zu den östlichen Nachbarn.
  3. Der Straßenname ist entwürdigend für Österreich. Nicht umsonst stellte der ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer kürzlich fest, der Begriff „Ostmark“ für Österreich sei völlig inakzeptabel und verharmlose das NS-Regime.


Perspektiven

Das Interesse der Anwohner, ihren gewohnten Straßennamen zu behalten, ist nachvollziehbar. Doch die genannten drei Punkte – der Name tradiert nationalsozialistische Propaganda, ist nationalistisch und herabwürdigend – wiegen schwerer und sind mit dem Selbstverständnis der Hansestadt Stade als einer modernen, weltoffenen Stadt, die für die europäische Einigung eintritt, in keiner Weise vereinbar. Wer den Namen weiterhin unangetastet lassen will, als sei er etwas Schützenswertes, nimmt diese Belastung billigend in Kauf.

Vor diesem Hintergrund ist eine Beibehaltung des Straßennamens nicht zu vertreten. Der Begriff „Ostmark“ gehört zum nationalsozialistischen Vokabular und steht als politischer Begriff im Kontext der aggressiven nationalsozialistischen Expansionspolitik und einer nationalistischen Abgrenzung gegen die slawischen Nachbarn. Statt Abgrenzung und Abwehr sollte man heute das Verbindende betonen. „Europastraße“ wäre ein passender neuer Name.

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